Artikel: Wenn UFO-Glaube zum Irrsinn wird - und in den Massenselbstmord führt!



Diese spezielle UFO-Thema hier hat nichts an Aktualität verloren: "Wenn UFO-Glaube zum Irrsinn wird - und in den Massenselbstmord führt". UFO-Sekten und gewissen UFO-Alien-Esoteriker mit den wildesten Phantastereien bringen auch die Prä-Astronautik in Verruf - da sich gerade diese Verrücktzen in den Medien tummeln und Schlagzeilen machen...


Von Lars A. Fischinger

Eigentlich schon traurig, dass dieses Kapitel des Buches UFO-Sekten von 1999 (mit Roland M. Horn) eigentlich noch immer up to date ist! Nicht nur wegen Nibiru, der alle Jubeljahre mal wieder "angekündigt" wird, sondern auch und vor allem, weil solche und andere Spinner das mediale Bild der Grenzwissenschaft bestimmen. Beispiele zeige ich auf diesem BLOG ja immer wieder gerne. Und ich habe eine wahre Sintflut an Beispielen im Archiv.

Geschrieben wurde das Kapitel unten 1998.


Heavens Gate - Suizid im Namen der UFOs

Auszug aus dem Buch "UFO-Sekten" von 1999


In der Nacht zum 23. Juli 1995 wurde durch die Amateutastronomen Alan Hale und Thomas Bopp bei Aufnahmen des Sternenhaufens M 70 der Komet Hale-Bopp offiziell entdeckt.[i] Es verging kaum eine Woche, in der es keine neuen Helligkeitsprognosen gab. Kaum ein Tag, in dem im Internet nicht von neuen, teilweise absurden - und offenbar nicht ungefährlichen - Spekulationen berichtet wurde. Die Behauptung, der Komet sei von einem riesigen Raumschiff begleitet, wurde sogar durch Fotofälschungen untermauert. Im Frühjahr 1997 war der Komet zu einem auffälligem Objekt am morgendlichen Nordost-Himmel geworden, und konnte abends bequem bestaunt werden.




Hauptperson eines Dramas, das sich um dieses schöne Himmelsobjekt bildete, war der Guru Marshall Applewhite (66), der Führer einer Sekte in San Diego, USA. Er war überzeugt davon, dass er und seine Anhänger in dem Raumschiff hinter dem Kometen wiedergeboren würden. Natürlich musste man sich zuvor seiner irdischen „Hülle“ entledigen, was nur durch einen kollektiven Selbstmord erreicht werden konnte. Auf ihrer Homepage im Internet kündigte die Gruppe sie sogar mit unmissverständlichen Worten ihr Vorhaben an. Die Hauptseite der Sekte im Internet ist, dies sei am Rande bemerkt, heute nicht mehr vorhanden. Findige Geschäftemacher haben aber die populäre Adresse (URL) im Original übernommen und bieten dort nun nicht jugendfreie Inhalte an. Jedoch sind die Texte der Sekte bei sorgfältigen Nachforschungen im Original an anderen Stellen im Netz zu finden.

Anfang des Jahres 1997 kursierte ein gefälschtes Foto in den ufologischen Medien, das ein dem Kometen Hale-Bopp folgendes Riesenobjekt zeigte. Es soll gar das vierfachen Volumen der Erde gehabt haben, und durch „Remote Viewing“[ii] (eine Art „medialer Fernwahrnehmung“) nachgewiesen worden sein. Nach dem Remote-Viewing-Praktizierer Professor Courtney Brown von der Emory Universität, Atlanta, USA, sei der Begleiter aber nur zeitweise hinter Hale-Bopp verborgen gewesen und dann hinter der Sonne verschwunden.[iii] Professor Courtney Brown und seine „Medien“ sahen in dem Begleiter ein UFO. Andere Autoren setzten dieses Objekt mit dem geheimnisvollen 12. Planeten (= „Nibiru“) unseres Sonnensystems gleich, den der Autor Zecharia Sitchin in einem Buch 1976[iv] beschreibt. Beispielswiese äußerte Markus Schlottig in einem Deutschen UFO-Fachblatt diese Idee.[v]

Der US-amerikanische Kometenforscher David Tholen fand jedoch heraus, dass das sonderbare Bild mit dem „Begleiter“ eines seiner eigenen Bilder war, in das der Begleitstern von irgendjemandem nachträglich per Computer hineinmanipuliert wurde.[vi]

Doch die Spekulationen um Hale-Bopp in der UFO-Szene waren weit komplexer. Am 14. November 1996 nahm der Amateurastronom Chuck Shramek das sicherlich bekannteste und folgenschwerste Bild des Kometen auf. Auf einem mit seinem 20-Zentimeter-Teleskop angefertigten Kometenfoto war ein „saturnförmiges Objekt“ in der Nähe von Hale-Bopp zu erkennen, das sich Chuck Shramek nicht erklären konnte. Er stellte die Aufnahme ins Internet, mit der Frage, was das seltsame Objekt sein könne.

Trotz Hale-Bopp-Boom im Internet bekam er keine Antwort, und so wandte er sich an den Radiomoderator Art Bell von der ufologischen, auf über 320 Sendern ausgestrahlten Live-Sendung Art Bell Show. Live schilderte Chuck Shramek in dieser beliebten Esoteriksendung, was er fotografiert hatte. Nun war die ufologische Gemeine in ihren Spekulationen nicht mehr zu bremsen, die Telefone standen nicht mehr still. Auch Professor Courtney Brown meldete sich bei Art Bell und schildert seine hellgesehene Entdeckung. Daraufhin meldeten sich mehrere Duzend Esoteriker, die ebenfalls das UFO bei Hale-Bopp medial beobachtet hatten.

Es folgte eine beispiellose Spekulationswelle über das Hale-Bopp-UFO im Internet. Zahlreiche Fotos des Kometen mit dem „UFO“ im Hintergrund machten die Runde. Der bekannte Schriftsteller Whitley Strieber veröffentlichte einige davon auf seiner Homepage.[vii] So etwa ein Bild, das er von Prudence Calabrese, einer Schülerin des Professors Courtney Brown, erhalten hatte, und das den „Begleiter“ zeigte. Der Astronom Olivier Hainaut, Universität Hawaii bemerkte jedoch, dass es sich bei diesen Bild um sein eigenes, am 1. September 1995 aufgenommenes Foto von Hale-Bopp handelte, das von einem Unbekannten digital manipuliert worden war, um dem Kometen ein UFO hinzuzufügen. Und weitere Fälschungen folgten.[viii]

Als sich schließlich die seriösen Astronomen der zahllosen gefälschten und falsch interpretierten Fotos annahmen, wurden die Sage des saturnförmigen UFOs schnell beseitigt. So zeigt etwa das Bild von Chuck Shramek den längst bekannten Stern SAO 141 894.

Etwas sehr ähnliches, jedoch nicht in diesem Ausmaß, ist im Kreise der UFO-Interessierten auch beim Fall des „Marsgesichts“ bekannt. Die berühmt-berüchtigte Regenbogenzeitung Weekly World News aus den Vereinigten Staaten brachte einen Beitrag des Reporters Nick Mann, der mit einem „Foto“ des Marskopfes illustriert wurde, das ihm angeblich von einem Dr. Benjamin Frania von der NASA zugespielt wurde. Nach Nick Mann bzw. Dr. Frania soll die am 21. August 1993 verschollene US-Raumsonde Mars-Observer dieses Bild am 18. bzw. 20. August 1993 so eben noch zur Erde gefunkt haben. Heute weiß man, dass der Kopf mit Bleistift gezeichnet worden war Das Bild wurde nie wieder veröffentlicht, nachdem ein uns befreundeter UFO-Forscher diese „Aufnahme“ sehr, sehr skeptischer kommentiert hatte.[ix]

Der vermeintliche Begleiter des Kometen Hale-Bopp war also eine Erfindung.

Marshall Applewhite jedoch war davon überzeugt, daß hinter dem Kometen kein gewöhnlicher Planet, sondern ein außerirdisches Raumschiff wartete, das mit dem Kometen gen Erde flog. Der ufo(un)logische Selbstmord wurde sorgfältig vorbereitet, und mit Wodka und Beruhigungsmitteln bereitete sich die Gruppe auf dem Tod und die anschließende Wiedergeburt vor. Die Sekte verkündete auf ihrer Internet-Seite, dass der Komet Hale-Bopp das Zeichen für die Ankunft des Raumschiffs von einer übermenschlichen Ebene sei. Deshalb wird Heavens Gate auch als „Internet-Sekte“ oder „Computersekte“ bezeichnet.

Heavens Gate, die natürlich auch die im Internet kursierenden Spekulationen und Vermutungen über den Begleiter des Kometen verfolgen konnte, beteiligte sich interessanterweise nicht an diesen Diskussionen. Schließlich war für sie der Fall klar. In der letzten Internet-Mitteilung von Heavens Gate kurz vor dem Suizid im März 1997 war deutlich unter der blinkenden Überschrift „Roter Alarm - Hale-Bopp schließt die Pforte zum Himmel“ zu lesen:

Ob Hale-Bopp einen Begleiter hat oder nicht, ist aus unserer Sicht irrelevant. Sein Erscheinen ist für uns bei ,Heavens Gate‘ jedoch erfreulicherweise sehr wichtig. Es ist eine große Freude, daß uns unser ältestes Mitglied auf der evolutionären Existenzstufe über der Menschheit klar gemacht hat, dass die Annäherung von Hale-Bopp das ,Zeichen‘ ist, auf das wir gewartet haben. Es ist die Zeit der Ankunft eines Raumschiffes [...], um uns heimzuholen in ,ihre Welt‘, in den wirklichen Himmel. [...] Wir sind glücklich und vorbereitet darauf, diese Welt zu verlassen [...]“[x]

Scheinbar waren einige Anhänger von Heavens Gate doch von den Mutmaßungen im Internet angesteckt worden, denn Joel Achenbach berichtete rund einem Monat nach dem Sektenselbstmord, dass sich einige Anhänger der Gruppe im Januar 1997 für 3600 US-Dollar Spiegelteleskope vom Typ LX200 gekauft hatten, um sich das kommende UFO und den Kometen anzusehen. Mit dieser Art Teleskop hatte auch Chuck Shramek den „Begleiter“ Hale-Bopps fotografiert. Da aber - haben wir was anderes erwartet? - keine fliegende Untertasse im Schweif des Kometen gefunden wurde, gaben die UFO-Fans die Teleskope zurück und wollten ihr Geld wieder haben.[xi]

Kometen galten zu allen Zeiten als „böses Omen“. Sie wurden im Mittelalter gerne für Katastrophen oder Kriege verantwortlich gemacht. Der UFO-Forscher und Astronomiepublizist Andreas von Rétyi hat hierüber in einem hervorragenden Buch detailliert und seriös berichtet.[xii]

Doch die Heavens-Gate-Anhänger sahen keinen Krieg oder schlechte Ernteerträge voraus, sie sahen ihre eigene, glückliche Zukunft.

Zurück in den Himmel sollte es nach dem Heavens-Gate-Chef gehen. Marshall Herff Applewhite war überzeugt, daß er und seine Anhänger durch die Lösung von der irdischen Hülle die „nächste Ebene“ der Existenz erreichen würden. In dieser Ebene lebten auch die außerirdischen „Ufonen“, die nach der Lehre der Sekte als technologisch wie geistig perfekte Wesen galten. Die Ufonen besiedelten nicht nur das All, sondern unterhielten auch auf dem Planten Pluto eine Basisstation.[xiii] Außerdem stellten sich Applewhites Jünger diese Wesen als asexuelle Geschöpfe vor, was möglicherweise erklärt, warum zahlreiche männliche Anhänger und der Chef selbst kastriert waren.[xiv]

Das Schlimme an der Glaubensphilosophie war jedoch ganz klar die Aussage Marshall Applewhites, daß man nur nach dem Verlassen der „irdischen Behältnisse“ - der „Container“ (der Körper) - in dieses Raumschiff gelangen konnte. Und so kam es wieder einmal zu einem Massenselbstmord einer Sekte - diesmal im Zeichen der UFOs. In einem Abschiedsvideo machten die Sektenanhänger einen entspannten Eindruck, so daß es scheint, daß sie gerne diesen Weg zur tödlichen Vollendung ihres wahnwitzigen Glaubens gingen.[xv] Auf Videobändern, die dem Heavens-Gate-Aussteiger Roi und einem Pfarrer zugesandt wurden, sind die Selbstmörder in „freudiger Erwartung“ zu sehen, sie scheinen ihre endgültige Entscheidung sehr wohl durchdacht zu haben.[xvi]

Darauf lassen auch die friedlich in ihren Betten aufgefundenen Leichen schließen, die ordentlich bekleidet dalagen, wie wir es alle in den TV-Medien (etwa Spiegel TV) sehen konnten. Sie trugen schwarze Hosen, Hemden und neue Turnschuhe, außerdem hatten alle fünf Dollar und ihre Ausweise bei sich und hatten neben dem Bett ein gepackte Sporttasche abgestellt. Einige vergaßen nicht einmal ihre Brillen, was angesichts eines körperlosen Fortlebens im UFO erstaunlich erscheint.[xvii]

Nach dem Selbstmord der Gläubigen - 18 Männer und 21 Frauen - überschlugen sich Fernseh- und Printmedien mit erschreckenden Berichten über diese armen Irrläufer der modernen Welt. Doch vor dem Massenselbstmord und dem Freitod des „Nachzüglers“ Wayne Cook (s. weiter unten) konnten es die Medien - allen voran die Regenbogenpresse - nicht lassen, selber über Katastrophenstimmungen angesichts von Hale-Bopp zu berichten. Als Beispiel sei hier die Bild genannt.

Am 12. März 1997 prangte auf der ersten Seite der Zeitung die gigantische Überschrift: „Jeden Tag kommt er der Erde näher / Der Komet / Unheimliche Prophezeiungen“. Bild berichtet, dass angeblich in der Welt Aufregung und auch Freude herrschten, da die einen glaubten, Hale-Bopp bringe eine Art Weltuntergang, und die anderen meinten, daß er „einen neuen Messias“ zur Erde brächte.

Der auf Seite sechs des Boulevardblattes fortgeführte Artikel („Der Komet - das Ende dieser Art von Welt...“) beruft sich zum Teil auf den Autor Johannes Bartels, der meinte, es erfülle sich durch Hale-Bopp die „dritte Botschaft von Fatima“. Fatima, jener Ort in Portugal, an dem die Mutter Maria ab 1917 mehrfach drei Kindern erschienen sein soll, ist heute heilige Pilgerstätte gläubiger Menschen.[xviii] Zwei der „Geheimnisse von Fatima“ wurden vom Vatikan veröffentlicht, doch das Rätsel Nummer drei kennen nur ein paar wenige Menschen im Vatikan. Der Papst natürlich - obwohl die Mutter Maria verlangt haben soll, es müsse 1960 veröffentlicht werden. Doch auch das ist umstritten und Sache der Definition der Worte der Jungfrau Maria.[xix]

Nach Johannes Bartels soll das dritte Geheimes die Wiederkehr des Messias bzw. des „Herrn“ betreffen, der heute schon unter den Menschen leben soll. Doch da Bartels die bislang nicht veröffentlichte dritte Botschaft auch nicht kennen dürfte, fragen wir uns, warum solche Meinungen überhaupt publiziert werden.

Nach Bild sollen auch die Hopi-Indianer aus Arizona, USA, glauben, daß ein göttliches Wesen in einem „glänzenden Stern“ zur Erde fahren wird und hier die Regierung übernehmen wird. Auch nennt das Blatt einige Daten, an denen „Katastrophen“ ausbrachen, die mit dem Erscheinen von Kometen zusammentrafen. So angeblich im Jahre 141, in dem die Pest in Europa ausbrach.

Tatsächlich gehen einige Mythen der Hopi-Indianer offenbar auf kosmische Ereignisse zurück, aber Hale-Bopp hiermit in Verbindung zu bringen, ist nach unserer Ansicht haltlose Spekulation. Andreas von Rétyi drückte dies so aus:

Nun, nachdem Hale-Bopp einige Popularität erreicht hat, wird ihm wohl viel angedichtet und zugeschrieben.“[xx]

Auch das bekannte Nachrichtenmagazin Spiegel sah sich im Zuge der Hale-Bopp-Hysterie dazu veranlasst, eine Titelstory über „Himmelszeichen“ und Hale-Bopp zu bringen.[xxi] Neben astronomischen und astrologischen Angaben wusste der Spiegel am 31. März 1997 zu berichten, dass die UFOlogen im Internet für Hale-Bopp Begeisterung zeigen. Wir lesen dort unter anderem, dass es UFOlogen geben soll, „die meinen, Hale-Bopp sei der ,Vorbote für ein kosmisches Gefährt‘, dessen befremdliche Benutzer ,über Afrika ein Virus aussetzen‘ wollen, ,das die gesamte Vegetation vernichtet‘.“[xxii]

Auch wenn die Autoren über diesem Stumpfsinn bisher nichts erfahren haben, so ist es dennoch interessant, dass der Spiegel im selben Abschnitt scheinbar auch auf Heavens Gate anspielt. In der „Tratschbude Internet“ so das Magazin seien in den Tagen des Hale-Bopp „jede Menge apokalyptischer Verschwörungstheorien“ zu finden. Auch „Berichte über die Invasion außerirdischer Wesen, die zum Beispiel, auf einem ,saturn-ähnlichen‘ Raumschiff im Schatten von Hale-Bopp der Erde nähren“.

Nachdem sich am 26. März 1997 die UFO-Sektierer von Heavens Gate im UFO-Wahn das Leben nahmen, berichteten die Medien in den USA und auch UFO-Magazine in Großbritannien und sicher auch in anderen Ländern erregt über diesen Irrsinn. Das britische UFO Magazine beispielsweise bezeichnete die Sekte als „bizarren religiösen Kult“.[xxiii] Auch die Bild druckte groß aufgemachte Artikel am 29. März („Er schickte sie in den Tod“) und 1. April („Todes-Sekte: Sie beteten dieses Wesen an“) 1997. Eine andere Zeitung berichtete sogar davon, dass unter den Toten von Heavens Gate der Bruder von Nichelle Nicholas sei, die als Leutnant Uhura aus der Fersehserie „Raumschiff Enterprise“ bekannt ist.[xxiv]

Weltweit fand die Tat der Sektenmitglieder keinerlei Verständnis - mit einer Ausnahme. Florian Rötzer berichtete in dem Internet-Artikel „Beam me up“ vom 9. April 1997, daß die ufologische Gruppe „Andromeda“ in einer Botschaft vom 29. März 1997 tatsächlich Verständnis für die Heavens Gate-Brüder äußerte. Schließlich seien sie inzwischen im All auf einem Planten im Andromenda-Nebel wiedergeboren worden und erfreuten sich dort eines himmlischen Lebens. Nach Florian Rötzer sang eine Frau auf ihrem Abschiedsvideo „beam me up“.[xxv]

Und doch war mit den 39 Toten in San Diego der Irrsinn noch nicht zu Ende. Kurz nach dem Selbstmord verkündete Wayne Cook aus Las Vegas in der Sendung des 60 Minutes von NBC, dass auch er seinen Freunden folgen werde. Schließlich sei auch seine Frau unter den 39 gewesen und gen UFO geschwebt. Wayne Cook:

Ich bin überzeugt, dass die 39 Toten irgendwo in einem Ufo sind. Ich wünschte, ich hätte die Kraft gehabt, mit ihnen zu gehen.[xxvi]

Cooks Tochter Kelly war alarmiert: Sie hatte am 26. März ein Päckchen erhalten, das ein Videoband ihrer Mutter Sylvia Cook enthielt, und in dem sie ihrem Freitod ankündigte. Nun erhielt Kelly ein solchen Päckchen auch von ihrem Vater. Er wolle sich mit einem gleichen Giftkocktail wie seine Brüder im Zimmer 222 des Holiday-Express-Hotels in Encinitas, Kalifornien, USA, das Leben nehmen. Wayne Cook, über 20 Jahre Mitglied bei Heavens Gate, schickte ein solches Video auch an den Fernsehsender CNN.[xxvii]

Die umgehend benachrichtigte Polizei fand im entsprechenden Zimmer des Hotels tatsächlich zwei leblose Körper. Sie waren ebenso gekleidet wie ihre Sektenfreunde in San Diego und hatte ebenfalls einen Mix aus Wodka und Beruhigungsmedikamenten eingenommen. Zusätzlich hatten sich Wayne Cook und der Heavens-Gate-Anhänger Charles Humphrey aus Denver Plastiktüten über den Kopf gezogen. Bei Wayne Cook konnte nur noch der Tod festgestellt werden, aber Charles Humphrey, der im Kampf um Leben und Tod ein Loch in die Tüte gerissen hatte, konnte wiederbelebt werden.

Das abschreckende Beispiel Heavens Gate bestimmte einige Wochen die Schlagzeilen der Weltpresse. Zahlreiche Berichte schilderten den Selbstmord, doch konnten diesen Nachrichten immer nur die selben Informationen entnommen werden. Wie also kam es zu diesem Ereignis?

Tatsächlich war der Suizid von Heavens Gate nur der Gipfel und traurige Höhepunkt der Jahrzehnte dauernden esoterisch-religiösen Irrfahrt von Marshall Applewhite. Heavens Gates Geschichte reicht weit zurück. Marshall Applewhite startete seine „Karriere“ im Jahre 1952. Damals begann er in im Austin-College in Sherman, rund 100 Kilometer nördlich von Dallas, Texas, ein Studium der Theologie. Wahrscheinlich deshalb, weil sein Vater presbyterianischer Pfarrer war und der spätere Sektenchef in der texanischen Kleinstadt Spur aufwuchs, in der die protestantische Kirche das Leben bestimmte. Nachdem Marshall Applewhite das Priesterseminar in Richmond, Virginia, USA, verlassen hatte, arbeitete er über Jahre hinweg als katholischer Musiklehrer und in der Oper von Houston als Bariton. Dort stand er gar mit Plácido Domingo auf der Bühne.

In diesen Tagen kam es zu entscheidenden Veränderungen in seinem Leben. Nach einer Ehekrise ließ er sich scheiden und ging eine homosexuelle Beziehung ein, die ihm 1972 seinen Job kostete. Er ging darauf in ein psychiatrisches Krankenhaus, um sich dort von der „Krankheit“ Homosexualität heilen zu lassen,[xxviii] und machte die schicksalhafte Bekanntschaft mit der Krankenschwester Bonnie Lu Nettles.

Marshall Applewhite, der in diesen Jahren begann, über die Ufologie und die Wiedergeburt des Menschen und UFOs zu philosophieren, und die Krankenschwester Bonnie Lu Nettles, die sich mit Wahrsagerei und Astrologie beschäftigte, hatten sich gesucht und gefunden. Zusammen machten sie später einen esoterischen Buchladen im Houston, Texas, auf, in dem sie auch über die religiösen Aspekten von UFOs Seminare veranstalten. Sie nannten sich nun „Bo“ und „Peep“, „Tiddly and Wink“ oder auch „Tweedle and Dee“ und begannen darüber zu reden, daß das „Reich Gottes“, das Himmelreich, in Wahrheit die „nächste Ebene“ der Existenz in einem UFO sei. Der Grundstein für Heavens Gate war gelegt.

„Bo“ und „Peep“ gaben ihr Buchgeschäft auf und begannen die USA auf der Suche nach neuen Mitgliedern für ihre ebenso neue Sekte, besonders in der Hippie-Szene, zu bereisen. Ihre Gruppe nannten sie „Human Individual Metamorphosis“ (H.I.M.), sie hatte 1975 schon 200 Mitglieder. Auf einer Veranstaltung der Gemeinschaft im September 1975 in Waldport im US-Bundesstaat Oregon kamen von den 600 Einwohnern des Städtchens 150, und 20 Zuhörer gaben gar ihre Arbeit und ihr bisheriges Leben auf und folgten den beiden.

In den darauffolgenden Jahren zog die ufologische Gruppe durch die westliche USA, lebte in Zelten und Wohnwagen und rekrutierte ständig neue Mitglieder. Im Jahr 1977 konnten Marshall Applewhite und Bonnie Lu Nettles bereist 400 Jünger verzeichnen. In diesem Jahr verkündete der Sektenchef erstmals die Landung eines UFOs in dem Ort Grand Junction in Colorado, das die Gruppe ins Himmelrerich bringen würde.

Nach Tagen des Wartens kam jedoch kein Raumschiff, und die meisten der Anhänger von „Human Individual Metamorphosis“ trennten sich von der Gruppe. Rund 80 Gläubige blieben. Nun zerfiel die Sekte von „Do“ und „Ti“ - wie sich die Anführer auch nannten - immer weiter. Marshall Applewhite änderte seine Lehren und die Gruppe, die sich nun „Total Overcomers Anonymous Ministry“ nannte, schottete sich nun vollständig nach außen ab.

Doch das half nichts, denn immer noch kehrten mehr und mehr Mitglieder dem Guru den Rücken Das bedeutete, dass Marshall Applewhite immer weniger Geld von seinen Jünger zur Verfügung hatte. Im Jahre 1992 (Bonnie Lu Nettles war 1985 an Leberkrebs verstorben), die Sekte bestand nur noch aus rund 25 Menschen, begann die Gruppe offen um neue Mitglieder zu werben und stieg außerdem in das Computergeschäft ein. 1996 wurde die Web-Design-Firma „Higher Source“ gegründet. Sie fertigten nicht nur Internetseiten für verschiedenen Firmen, sondern begann auch, sich unter dem Namen Heavens Gate im Internet zu präsentieren, dort ihre Lehre zu verbreiten und neue Anhänger anzuwerben.[xxix] Die hartnäckigen Werbeaktionen gingen sogar soweit, dass die Gruppe an über 100 sogenannte Newsgroups im Internet Emails schickte.[xxx] Bis zu dem verhängnisvollen Tag im März 1997.

Der Abriss durch die Gesichte und die Weltanschauungen Marshall Applewhites zeigt eine stetige Weiterentwicklung seiner Ideen. Diese machen das Suiziddrama der Sekte zwar begreiflich, aber in keinem Fall verständlich.

Auch wenn UFO-Kulte also heute noch recht harmlose Dinge lehren, so kann es morgen oder in einigen Jahren schon ganz anders aussehen. So etwa meldet die seriöse Zeitung New York Times[xxxi] im März 1998 den Aufmarsch und Zuzug von Mitgliedern der „God’s Salvation Church“ in das nördlich vom texanischen Dallas gelegenen Garland. Diese Erlösungskirche kaufte dort nach und nach dreißig Wohnungen und Häuser auf, die dann schließlich von rund 150 Sektenanhängern bezogen wurden, die aus Taiwan anreisten. Sämtliche Mitglieder der Sekte kleiden sich vollkommen weiß; Hüte eingeschlossen. Der Führer der Bewegung ist Heng-Ming Chen (Hon-Minc Chen), der allerdings von seinen Anhängern nur „Lehrer Chen“ genannt wird, denn durch ihn spricht - so wird es gelehrt, Gott persönlich. Chen sieht angeblich oft goldene Bälle (UFOs?) über den Himmel ziehen, die er als Vorboten Gottes bezeichnet.

Mittlerweile hat der 42-jährige „Lehrer“ eine lange Arbeit mit dem Titel God’s Descending in Clouds (Flying Saucers) on Earth to Save People (Gott steigt herab in Wolken (fliegenden Untertassen) auf die Erde, um Menschen zu erretten). Für diese Behauptung garantiert er, wie er in seinem Werk schreibt, sogar mit seinem Leben. Zitat: „Um 10 h des 31. März 1998 wird im Heiligen Land das Königreich Gottes erscheinen.“ Dann gab er eine Adresse in Garland an.

Der 42-jährige Chen ist Professor der Sozialwissenschaften, irgendwann erkannte er jedoch, dass er selbst vor 2000 Jahren Christus war. In seinen beiden Söhnen sieht er die Reinkarnation von Jesus und Buddah (man beachte die wirre Unterscheidung zwischen Christus und Jesus). Er zeigt seine Söhne auch gerne den gläubigen Anhängern.[xxxii]

In Garland umgehende Gerüchte besagten, dass Chen von seinen Leuten bedingungslos als Führer angesehen werde, und dass er seine Mitglieder sogar einer Gehirnwäsche unterzöge, damit sie an ihn glaubten. Anders könnten sie mit ihm nicht in einer fliegenden Untertasse in den Himmel fliegen. Die taiwanesische Presse befürchtete einen Massenselbstmord für den Fall, dass Gott nicht am 31. März in Garland erscheinen würde. Professor Chen wies diese Vorwürfe und die Befürchtungen eines Selbstmordes jedoch weit von sich.

Die Gruppe baute einen Altar, auf dem sie Früchte, Cola und Kekse für jenen historischen Zeitpunkt Ende März bereithielten, an dem ihr Lehrer zu Andacht und Predigt aufrufen wird, um Gott zu empfangen, denn Gott wird sich nach Chen bereits um Mitternacht des 24. März auf dem TV-Kanal 18, dem Home Shopping Cannel!, weltweit anmelden.

Das faszinierende dabei: Obwohl der 31. März ohne die Erscheinung Gottes zu Ende ging, reisten nur etwa 20 Sektenanhänger enttäuscht nach Taiwan zurück, der Rest hält ihrem Lehrer weiterhin die Treue.[xxxiii]

Ein weiterer UFO-Kult-Führer verstarb im Jahre 1998 in Paris im Alter von 72 Jahren. Es handelte sich um den selbsternannten Messias Gilbert Bourdin, der die Welt vor außerirdischen Invasoren schützte. Wir erinnern uns: Auch George King, der Sprecher des „Interplanetarischen Parlaments“ hat einst, so die Channel-Nachrichten der angeblichen Außerirdischen, die Welt vor Wesen aus dem All bewahrt; zumindest war George King an der Rettung beteiligt .

Gilbert Bourdin hatte sich in den südlichen Alpen ein kleines Imperium aufgebaut. Dort nannte man ihn „Cosmic Christ“ (kosmischer Christ!), als „Hamsah Manara“ was laut Sanskrit soviel wie „Herr der Menschen“ bedeutet wurde er verehrt. Gilbert Bourdin war zuvor Lehrer auf der Insel Martinique gewesen, wo er 1969 den Mandarom-Kult gründetet hatte. Seine Anhänger sind Vegetarier, tragen Tunikas und rasieren ihren Schädel kahl. Solche äußeren Erkennungsmerkmale sind typisch für Sekten (vor allem für fernöstliche)! Gilbert Bourdin wurde im Laufe der Zeit immer rabiater, was die „Rekrutierung“ von neuen Mitgliedern für seine Gruppe betraf, wie ein Parlamentsbericht der französischen Regierung im Jahr 1996 feststellte.

Insgesamt gab es fünf Ermittlungen gegen den Guru Bourdin wegen Vergewaltigungen, die ihm von ehemaligen Sektenmitgliedern vorgeworfen wurden. Bourdin wurde tatsächlich auch einmal verhaftet, doch die Anzeigen wurden nach zwei Wochen zurückgezogen.[xxxiv]

Quellen (von 1998/1999)

[i] Bereits im April des Jahres 1993 wurde Hale-Bopp durch Robert McNaught vom australischen Siding Spring Observatorium fotografiert, blieb jedoch unentdeckt.

[ii] siehe hierzu die interessante Arbeit: Gruber, Elmar R.: Die PSI-Protokolle, München 1998

[iii] In: Saucer Smear, 20. April 1997; s. auch: http://www.farsight.org/farsight/welcome.html

[iv] Sitchin, Zecharia: The 12th planet, New York, USA, 1976; In deutsch: Der zwölfte Planet, München 1989

[v] Schlottig, Markus: Nibiru, Planet der Anunnaki - wann kommt er?, In: Magazin 2000plus Nr. 2/1997, S. 61ff.

[vi] Skyweek 2/1997

[vii] http://www.strieber,com

[viii] Stoyan, Roland C.: Vom saturnähnlichen Objekt bis zum Massenselbstmord: Die Gerüchteküche um den Kometen Hale-Bopp im Internet, in: Skeptiker 2/1998 (Nr. 11), S. 48ff.

[ix] Rétyi, Andreas von: Wir sind nicht allein!, München 1994, S. 197ff.

[x] nach: „Heaven’s Gate“: Durch Selbstmord zum Kometen - Eine Dokumentation, in: Skeptiker 2/1998 (Nr. 11), S. 58; Originaltexte unter http://www5.zdnet.com/yil/higher/heavensgate/

[xi] Achenbach, Joel: Almost Heaven, in: The Washington Post, 13. April 1997

[xii] Rétyi, Andreas von: Der Jahrhundert-Komet: Hale-Bopp, München 1997

[xiii] http://www.ref.ch/zh/infoksr/HeavensGate.html, bezogen am 14. August 1998

[xiv] Sonntags-Blitz, 30. März 1997

[xv] Saarbrücker Zeitung, Ostern 1997

[xvi] Süddeutsche Zeitung, 29. März 1997, S. 16

[xvii] Bild, 29. März 1997, S. 10

[xviii] Der Vatikan hat Fatima als Pilgerstätte offiziell anerkannt. Nach Ansicht des Vatikans ist hier tatsächlich die Jungfrau Maria erschienen.

[xix] Siehe hierzu: Hesemann, Michael: Geheimsache Fatima, München 1997, S. 126ff.

[xx] Rétyi 1997, S. 249f.

[xxi] Die neuen, uralten Ängste, in: Der Spiegel Nr. 14/1997, S. 212ff.

[xxii] ebenda, S. 214

[xxiii] Birdsall, Graham im Editorial des UFO Magazine, Großbritannien, Mai/Juni 1997

[xxiv] Badische Neuste Nachrichten, 1. April 1997, S. 7

[xxv] http://www.heise.de/tp/deutsch/inhalt/glosse/1162/1.html, bezogen am 22. August 1998

[xxvi] Abendzeitung, 9. Mai 1997, in: CENAP-Report Nr. 242, S. 6

[xxvii] Süddeutsche Zeitung, 9. Mai 1997, S. 12

[xxviii] Bis 1974 wurde Homosexualität sogar von der „American Psychiatric Association“ Homosexualität als Krankheit angesehen, so daß Applewhites Ansicht verständlicher erscheint.

[xxix] Alles nach: Frankfurter Allgemeine Zeitung, 1. April 1997, S. 12; http://www.ref.ch/zh/infoksr/HeavensGate.html, bezogen am 14. August 1998

[xxx] American Gothic, in: Fortean Times Nr. 100 (Mai 1997), S. 35ff.

[xxxi] 21. März 1998

[xxxii] Perkins, Rodney und Jackson, Forrest: Spirit in the Sky, in: Fortean Times, April 1998 (Nr. 109), S. 24ff.

[xxxiii] CENAP-Report 250, S. 53-55

[xxxiv] CENAP-Report 250, S. 55 



Marshall Applewhite